Montag, 6. April 2020
Eine unbekannte Frau salbt Jesus
Markus 14, 1-9
Liebe Gemeinde,
wenn einem Dinge zu nahe kommen, wenn sie einem zu sehr unter die Haut gehen, wenn sie einen zu bedrohen scheinen oder total unangenehm sind, gibt es verschiedene Strategien, sich dem zu entziehen.
Ich kann mich abwenden, mich mit etwas anderem beschäftigen und die Dinge nicht an mich heranlassen. Ich kann mich auch ablenken, auf ein anderes Thema schwenken.
Die Jünger tun letzteres in der Geschichte, die gleich folgt. Sie schwenken auf ein anderes Thema und verpassen, sich ernsthaft mit dem, was gerade dran ist, auseinanderzusetzen. Wenn da nicht, wenn da nicht dieser Jesus wäre, der der namenlosen Frau beisteht.
Hier die Geschichte:
„Als Jesus in Betanien im Haus Simons des Aussätzigen war und bei Tisch sass, kam eine Frau mit einem Alabastergefäss voll echten, kostbaren Nardenöls; sie zerbrach das Gefäss und goss es ihm über das Haupt. Da wurden einige unwillig und sagten zueinander: Wozu geschah diese Verschwendung des Öls? Dieses Öl hätte man für mehr als dreihundert Denar verkaufen und den Erlös den Armen geben können. Und sie fuhren sie an. …“
Da kommt jemand rein, ungebeten. Dann noch eine Frau. Und sie besitzt die Dreistigkeit und wagt sich an den Tisch, dort, wo die Männer sitzen. Und dann, dann giesst sie ein Fläschchen kostbares Öl auf Jesu Haupt.
Diese Handlung ist ziemlich eindeutig. Da wird jemand zum Messias gesalbt, zum Gesalbten Gottes gemacht. Und so etwas wird meist von Gott inszeniert, in Szene gesetzt. Er erwählt sich einen Propheten oder eine Prophetin und lässt einen erwählten Menschen zum König salben. Der Gesalbte ist der Messias.
Markus bettet diese Geschichte ein in die Episode, wie der Jesu Tod geplant wird und wie nach Mitteln und Wegen gesucht wird, ihr Ziel zu erreichen. Die Geschichte von der Salbung Jesu unterbricht diese Planung.
Damit macht Markus deutlich, dass Jesus der Messias ist durch sein Leiden und seinen Tod hindurch. Gott steht an seiner Seite, ohnmächtig und mitleidend. Er verlässt ihn nicht, bleibt bei ihm im Dunkel, im Tod.
Die Frau macht das erfahrbar, auch für Jesus wird das sinnlich greifbar, vielleicht auch begreifbar. Es ist ein Akt der Liebe: diese Frau geht freundlich auf Jesus zu, unerschrocken und mutig. Sie zerbricht eine Flasche kostbarstes Öl, absoluter Luxus. Und dann streicht sie das Öl über sein Haupt, legt behutsam die Hände auf seinen Kopf und reibt Haar und Kopfhaut damit ein. Konzentriert ist sie bei der Sache, ganz vertieft in diese eine Geste.
Wohltuend, wohlriechend, wohlmeinend.
Aber das Wohlwollen bleibt aus. Es ergiesst sich ein Shitstorm über die Frau. Sie wird niedergemacht, zu Boden geschrien: Was sie sich wohl dabei denke, eine solche Verschwendung. Unmöglich! Unverschämt! Unverantwortlich!
Und so ganz Unrecht haben die Männer ja nicht. Das Öl hat einen enormen Wert: für die meisten Tagelöhner:innen und Arbeiter:innen war das ein Jahreseinkommen. Davon hätte man ein Jahr leben können. Und mit dem Geld hätte man schon eine ganze Menge helfen können, das stimmt.
Und alle sind jetzt gespannt. Wird auch Jesus die Frau zurechtweisen, in ihre Schranken weisen?
„Jesus aber sprach: Lasst sie! Was bringt ihr sie in Verlegenheit? Sie hat eine schöne Tat an mir vollbracht. Arme habt ihr ja allezeit bei euch und könnt ihnen Gutes tun, sooft ihr wollt; mich aber habt ihr nicht allezeit. Was sie vermochte, hat sie getan. Sie hat meinen Leib im Voraus zum Begräbnis gesalbt. Amen, ich sage euch: Wo immer in der ganzen Welt das Evangelium verkündigt wird, da wird auch erzählt werden, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis.“
Jesus gebietet Einhalt: Ganz König lenkt er das Geschehen und beschämt die Wortführer: Sicher ist es wichtig, was für die Armen zu tun. Es hindert euch niemand dran.
Aber jetzt bin ich dran. Im Moment nehme ich Abschied. Das hat die Frau erkannt und genau im richtigen Moment das Richtige getan. Nehmt euch ein Beispiel an dieser Frau! Und nicht nur ihr: Alle Welt: Nehmt euch ein Beispiel an dieser Frau! Nehmt euch ein Beispiel an ihrem Gespür dafür, was gerade dran ist, was wichtig ist. Nehmt euch ein Beispiel an ihrem Dienst, an ihrer liebevollen Tat!
Gott steht auch an ihrer Seite, ohnmächtig und mitleidend. Er verlässt sie nicht, bleibt bei ihr im Dunkel, im Tod.
Amen
Verfasst von Pfarrer Andreas Olbrich, Reigoldswil