Mittwoch, 8. April 2020
Der Traum der Frau des Pilatus
Matthäus 27, 15-20
15 Es war üblich, dass der Präfekt zum Fest dem Volk zuliebe einen Gefangenen freigab, den die Leute wünschten. 16 Damals gab es einen berühmten Gefangenen mit Namen Jesus Barabbas. 17 Als sie sich nun versammelt hatten, sagte Pilatus zu ihnen: „Wen soll ich euch freilassen, Jesus Barabbas oder Jesus, der Messias genannt wird?“ 18 Er wusste nämlich, dass sie ihn aus Neid ausgeliefert hatten. 19 Als er auf dem Richterstuhl saß, schickte seine Frau ihm eine Botschaft, in der sie sagte: „Halte dich von jenem Gerechten fern. Seinetwegen habe ich diese Nacht im Traum viel ausgestanden.“ 20 Die Hohenpriester und Ältesten überredeten die Volksmenge, dass sie Barabbas erbitten sollten, Jesus aber sollten sie ins Verderben stürzen.
Gedanken zum Text
Was hat die Frau des Pilatus in dieser Nacht in ihrem Traum wohl ausgestanden, ausgehalten?
Sie träumte, dass sie mitten auf einer Insel in Griechenland stand. Es stank erbärmlich nach allerhand Allzumenschlichem. Es wurde gesprochen, wild mit den Händen dazu gestikuliert, und die Augen vieler Menschen waren weit aufgerissen. Angst und Schrecken waren aus ihnen zu lesen.
Aber sie verstand nicht, worüber die vielen Leute sich beklagten. Langsam sah sie deutlicher: Es waren praktisch alles Frauen und Kinder, die sich um sie scharten. Es waren unzählige Gesichter, denen sie gegenüberstand – und ein Gefühl der Ohnmacht breitete sich in ihr aus. „Ich muss hier helfen! Aber wie?“ Und wen sollte sie zu Hilfe holen?
Ihr Mann und alle anderen Männer waren damit beschäftigt, Kriege zu führen und für den Erhalt ihrer Macht zu sorgen. Ein schreckliches Gefühl überkam sie: Wenn mein Mann, wenn die vielen anderen Männer solches tun, dann sind sie wohl dafür verantwortlich, dass diese Menschen, diese Frauen und Kinder hier auf dieser Insel, derart leiden müssen. Ihr wurde übel – und heiss und kalt zugleich.
Ganz deutlich sah sie nun, wie alles zusammenhing: Macht und Geld und Krieg bewirken Not und Armut und Unterdrückung. In ihrer Verzweiflung schrie sie um Hilfe, bis ihre Stimme versagte und Tränen über ihre Wangen rollten.
Und aus jeder Träne, die auf die staubige Erde jener Insel tropfte, platzte ein einfacher Mensch, wie Du und ich. Jeder dieser Menschen lud eine Familie zu sich nach Hause ein. Keiner dieser aus Tränen hervorgegangenen Menschen kümmerte sich um Grenzen, Verbote und Diktate der Mächtigen.
Es wurde immer stiller um sie herum, bis keine Leute mehr zu sehen und zu hören waren. Nur ein leises Summen war noch zu vernehmen. Ein Summen der stillen Hoffnung, dass Tränen der Mitmenschlichkeit die Herzen der Mächtigen zu berühren vermögen.
Amen
Verfasst von Pfarrer Roland Durst, Lupsingen