Karfreitag, 10. April 2020
Die Frauen in der Nähe des Kreuzes
Matthäus 27, 31-56
Von der brutalen Kreuzigungsszene heisst es: Es sahen aber Frauen von Ferne zu, die Jesus von Galiläa her gefolgt waren, um ihm zu dienen, und unter diesen waren Maria von Magdala und Maria, die Mutter des Jakobus und Joses und die Mutter der Söhne des Zebedäus (Jakobus und Johannes ). Matthäus 27, 55 – 56.
Liebe Leserin und lieber Leser
Diese Karfreitagsszene finden wir auf dem innersten Bild des Flügelaltars, das vom bekannten Künstler Matthias Grünewald in den Jahren 1512-1516 geschaffen wurde. Dieser wertvolle Altar ist im Museum Unterlinden in Colmar ausgestellt. Zur Zeit von Grünewald war das Hauptbild mit der Kreuzigung Jesu mit einer Höhe von 269 Zentimetern und 307 Zentimetern in der Breite das bis dahin grösste Kreuzigungsbild, das je in der europäischen Malerei geschaffen wurde. Eine monumentale Darstellung, welche die schwerste Stunde im Leben von Jesus dem Betrachter vor Augen führt.
Angst und Trauer sind auch unsere Begleiter in den letzten Wochen: die Angst vor dem unsichtbaren kleinen Virus Corona mit dem Beinamen COVID 19 und der Trauer für die vielen Opfer, die rund um den Globus bereits zu beklagen sind. Neben den hässlichen Kriegen an verschiedenen Brandherden, neben den vielen Leidenden in Gebieten, wo die Natur die Menschen zusätzlich aufschreckt: Heuschreckenplage an der Ostküste in Afrika, das Erdbeben in Zagreb, die Flüchtlingsströme und die Not in den Unterkünften, der Hunger der vielen Menschen und nun mit dem Virus ein zusätzlicher Albtraum für die Ärmsten der Armen. Das ist für mich alles Karfreitag: Leiden und Tod in riesiger Dimension.
Solche Ohnmacht erkennen wir im Grünewaldbild. Maria, die Mutter Jesu, scheint im wahrsten Sinne des Wortes ohnmächtig in die Arme des Apostels Johannes zu sinken. Unvorstellbar der Schmerz der Mutter bei diesem Anblick des sterbenden Sohnes. Unvorstellbar das Gefühl der Machtlosigkeit, des Ausgeliefertseins an diese barbarische Obrigkeit mit dieser gnadenlosen Strafe. Unvorstellbar das Leid, das diesen Tag umdunkelt und der schwerste Schritt durch das finstere Tal ist.
Ebenso Maria von Magdala, die ihr Entsetzen mit gefalteten Händen zum Himmel schreit, betend zu Gott um Gnade, Hilfe, Trost und Barmherzigkeit bittet. Tapfere, mutige und treue Frauen, die Jesus begleitet haben und auch an diesem Tag – wenn auch von Ferne – gegenwärtig ihre tiefe Liebe zu Jesus zum Ausdruck brachten.
Auf der rechten Seite des Kreuzes – vom Betrachter aus gesehen – ist der überlange Zeigefinger von Johannes dem Täufer, der ins Zentrum der Botschaft weist, nämlich auf den Christus, den Sohn von Gott, der diese schwerste Prüfung zu durchleiden hat und uns heute, wie den Menschen damals, ein Zeichen seiner grenzenlosen Liebe und Gnade ist. Der römische Hauptmann, dieser hartgesottene und kampferprobte Legionär, der den grausamen Befehl auszuführen hatte, wurde selbst in seinem Innersten erschüttert und sagte: Dieser war in Wahrheit Gottes Sohn.
Spott, Hohn, Schmerz und Leid soll nicht das Letzte sein. Die Dornen-Corona war ein Zeichen gemeinen Spotts und Folter, um den echt trauernden und den schaulustigen Menschen zu demonstrieren, wer hier kommandiert. Das hat einige Jahre nach dem Tod von Jesus das ganze Volk Israel schmerzlich erleiden müssen. Nach einem missglückten Aufstand zur Befreiung vom römischen Joch, wurde ihr Heiligtum, der Tempel geschleift, Jerusalem damit ebenfalls zerstört, und sie wurden vertrieben und wurden Flüchtlinge und zerstreuten sich in alle Richtungen. Ein riesiger Karfreitag für das Volk Israel.
Und heute ist wieder Karfreitag. Ein Karfreitag, der ebenfalls unter einer Corona leidet. Ein Karfreitag, den es wohl noch nie gegeben hat in der Menschheitsgeschichte in dieser globalen Dimension. Ein kleiner Virus, der in kürzester Zeit die Welt lahmgelegt hat und sie dabei in Angst und Schrecken versetzt. Ungewiss auch für uns moderne Menschen, wie wir auf die vielen anstehenden Fragen antworten sollen. Auch heute, wie in den vergangenen Tagen, hören wir die Sorgen und Existenzängste bei uns hier, aber auch die Nöte und das Leiden in der weiten Welt.
Ein globales Leiden – ein globaler Karfreitag. Eine Krise, die aber trotzdem auch eine Chance ist!! Die Geschichte Jesu endet ja nicht am Karfreitag! Die frohe Botschaft besteht darin, dass es Ostern geworden ist, dass uns aus der abgrundtiefen Trauer ein Zeichen der Hoffnung gesetzt ist und Jesu Auferstehung Erlösung, Gnade und Befreiung ist. Wir alle dürfen unsere Zuversicht auch in unseren schweren gegenwärtigen Tagen auf diese Hoffnung setzen. Gott ist mit uns – mit dir und mir oder wie es der Bandweber, Dichter, Seelsorger und Prediger als 32-jähriger im Jahre 1729 aufgeschrieben hat, uns wohl allen bekannt:
RG 162, 1 u. 5: Gott ist gegenwärtig …
Gott ist gegenwärtig. Lasset uns anbeten und in Ehrfurcht vor ihn treten. Gott ist in der Mitte. Alles in uns schweige und sich innigst vor ihm beuge. Wer IHN kennt, wer IHN nennt, schlag die Augen nieder; gebt das Herz ihm wieder.
DU durchdringest alles; lass dein schönstes Lichte, HERR, berühren mein Gesichte. Wie die zarten Blumen willig sich entfalten und der Sonne stillehalten, lass mich so still und froh Deine Strahlen fassen und Dich wirken lassen.
Amen
Verfasst von Pfarrer Hans Bollinger, Ziefen