Von Pfarrer Andreas Olbrich, Reigoldswil
Als Vorbereitung
Herzlich willkommen zu diesem besonderen Gottesdienst, wie wir ihn seit dem
22. März über die elektronischen Medien anbieten.
Wann immer Sie sich diese Einkehr gönnen, nehmen Sie sich ein wenig Zeit für die Vorbereitung:
• richten Sie es sich gemütlich ein, und zünden Sie eine Kerze an
• stellen Sie sich gerne ein Glas Wasser, einen Tee oder Kaffee in Reichweite
• denken Sie an jene Menschen, die Ihnen nahe sind, mit denen Sie aber wegen des Notstands nicht zusammen sein können
• die Texte der Lieder sowie sämtliche Zitate aus den biblischen Büchern sind nachstehend abgedruckt
Wir wünschen Ihnen eine wohltuende Feier.
Karin Engelbrecht (Homepage), Heidy Müller (Orgel), Monika Gerber (Orgel: Liedbegleitung und Altflöte: Solostücke), und Andreas Olbrich (Pfarrer)
Antonio Vivaldi: Sarabanda (Sonata op. 13 Nr. 2 in C-Dur)
Grusswort und Begrüssung
Im Namen Gottes, er wird Recht schaffen.
Im Namen Jesu Christi, der Liebe übt.
Im Namen heiliger Geistkraft, die uns mit der Liebe verbindet.
Amen.
Einen lieben Gruss an alle, daheim in der Stube oder in der Küche, auf der Terrasse, im Altersheim Moosmatt oder im Spital. Ob ihr liegt oder sitzt, es euch im Sessel gemütlich macht oder konzentriert und aufrecht zuhört.
Schön, dass wir in Gemeinschaft Gottesdienst feiern, gemeinsam beten, lesen und singen, uns Gottes Wort zusprechen und den Segen empfangen.
Lied 55, 1+2 Singt, singt dem Herren neue Lieder
1. Singt, singt dem Herren neue Lieder.
Er ists allein, der Wunder tut.
Seht, seine Rechte sieget wieder,
sein heilger Arm gibt Kraft und Mut.
Wo sind nun alle unsre Leiden?
Der Herr schafft Ruh und Sicherheit;
frohlocket ihm mit Dank und Freuden,
die ihr durch ihn erlöset seid.
2. Der Herr gedenkt an sein Erbarmen,
und seine Wahrheit stehet fest;
er trägt sein Volk auf seinen Armen
und hilft, wenn alles uns verlässt.
Bald schaut der ganze Kreis der Erde,
wie unsres Gottes Heil erfreut.
Gott will, dass sie ein Eden werde.
Rühm, Erde, Gottes Herrlichkeit!
Eingangsgebet
Ach, Gott,
es ist immer wieder dasselbe:
„Wie du mir, so ich dir …
Das vergesse ich dir nie …
Das zahle ich dir heim …“
Auch die Folgen sind immer gleich:
Gewalt eskaliert,
die Spirale von Gewalt beginnt, sich zu drehen,
Gott, erbarme dich!
Gott, erbarme dich unser!
Erwärme uns mit deiner Barmherzigkeit,
so dass wir auch die Menschen ertragen,
die uns das Leben schwer machen.
Denn deine Liebe ist ohne Ende.
Du liebst alles, was lebt: alle Welt und uns.
Amen.
Lied 55, 3+4 Singt, singt dem Herren neue Lieder
3. Frohlocket, jauchzet, rühmet alle,
erhebet ihn mit Lobgesang.
Sein Lob tön im Posaunenschalle,
in Psalter- und in Harfenklang.
Auf, alle Völker, lobt zusammen!
Gott macht, dass jeder jauchzen kann.
Sein Ruhm, sein Lob muss euch entflammen:
Kommt, betet euren König an.
4. Preist ihn, ihr Länder und ihr Meere,
und werdet seines Ruhmes voll.
Frohlockt und lobt des Königs Ehre,
des Herrn, dem alles dienen soll.
Es kommt, es kommt mit Macht und Stärke
der Richter aller Welt herbei;
er stürzt der Sünde Reich und Werke,
er herrscht mit Wahrheit, Gnad und Treu.
Lesung
Johannes 8, 1-11
Jesus aber ging auf den Ölberg. Am frühen Morgen war er wieder im Tempel, und das ganze Volk kam zu ihm. Und er setzte sich und lehrte sie.
Da bringen die Schriftgelehrten und die Pharisäer eine Frau, die beim Ehebruch ertappt worden ist, stellen sie in die Mitte und sagen zu ihm: Meister, diese Frau ist beim Ehebruch auf frischer Tat ertappt worden. Im Gesetz aber hat Mose uns vorgeschrieben, solche Frauen zu steinigen. Du nun, was sagst du dazu? Dies sagten sie, um ihn auf die Probe zu stellen, damit sie einen Grund hätten, ihn anzuklagen.
Jesus aber bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie immer wieder fragten, richtete er sich auf und sagte zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, werfe als Erster einen Stein auf sie! Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde.
Sie aber hörten es und entfernten sich, einer nach dem anderen, die Ältesten voran, und er blieb allein zurück mit der Frau, die in der Mitte stand.
Jesus aber richtete sich auf und sagte zu ihr: Frau, wo sind sie? Hat keiner dich verurteilt? Sie sagte: Keiner, Herr. Da sprach Jesus: Auch ich verurteile dich nicht. Geh, und sündige von jetzt an nicht mehr!
Amen.
Lied 27, 1-3 O Höchster, deine Gütigkeit
1. O Höchster, deine Gütigkeit
und deine Wahrheit reicht so weit,
als deine Himmel glänzen.
Die Heiligkeit, die dich erhöht,
dein Recht und deine Majestät ist ohne Ziel und Grenzen.
Gott, deine Treu verlässt uns nie,
fest wie die Berge stehet sie
auf nie bewegten Gründen.
Du, der uns lauter Gutes gibt,
du lässest jeden der dich liebt,
Erbarmung vor dir finden.
2. Der Menschen und der Tiere Schar
erhältst du, Höchster, wunderbar;
wer kann dich gnug erheben?
Du Gott voll Gnade, voll Geduld,
erzeigest allen deine Huld,
die hier auf Erden leben.
Wie reich an Gnaden bist doch du:
Du gibst den Menschenkindern Ruh
im Schatten deiner Flügel;
du sättigst sie mit Überfluss;
es strömt dein milder Segensguss
herab auf Tal und Hügel.
3. O Herr, du bist des Lebens Quell;
in deinem Licht nur wird uns hell
das Dunkel in dem Leben.
Noch kennten wir dich, Höchster, nicht,
wenn du nicht dieses Lebenslicht,
dein Wort, uns nicht gegeben.
O breite deine Gütigkeit,
dein Recht und Wahrheit jederzeit
auf alle, die dich kennen.
Das tu auch mir, du starker Held;
so wird der stolze Geist der Welt
mich niemals von dir trennen.
Predigt
Paulus, der eifrige Briefeschreiber, hat zur Feder gegriffen und denen in Rom, die Jesus anhängen, geschrieben. Der Brief an die Gemeinde in Rom ist ziemlich lang und hat Passagen, die für viele Christinnen und Christen wichtig geworden sind. Einige Sätze aus dem heutigen Abschnitt (12, 17-21) sind bekannt, andere weniger: „Vergeltet niemandem Böses mit Bösem, seid allen Menschen gegenüber auf Gutes bedacht! Wenn möglich, soweit es in eurer Macht steht: Haltet Frieden mit allen Menschen! Übt nicht selber Rache, meine Geliebten, sondern gebt dem Zorn Gottes Raum! Denn es steht geschrieben: Mein ist die Rache, ich werde Vergeltung üben, spricht der HERR. Vielmehr: Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen; wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken. Denn wenn du dies tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln. Lass dich vom Bösen nicht besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute.“
Wo bleiben Sie hängen, liebe Gemeinde?
Vielleicht am Wort RACHE: „Mein ist die Rache, …, spricht der HERR.“
Rache ist süss …, Das zahl ich dir heim …, Du wirst schon sehen, was du davon hast …, Wie du mir, so ich dir …, Vier Redewendungen oder Sätze, die mir ganz schnell einfallen, wenn es um Rache geht. Sie machen deutlich, wie „menschlich“ das Denken an Rache ist. Wie häufig wir den Gedanken hegen, wir zahlen mit gleicher Münze heim.
Ich kehre zum ersten Satz zurück, der auch von Rache spricht, es aber anders ausdrückt. Wenn jemand Böses tut und ich mit Bösem antworte, dann hat das etwas von Rache.
Ich mache es einmal konkret:
„Sveeeee-heeen!“ Sven dreht sich um, läuft aber weiter und rempelt Joel an. „Du hast dein Heft vergessen.“ Sven dreht um und holt sein Heft von Janas Pult. Als er wieder an Joels Platz vorbeikommt, ist er noch ganz in Gedanken und berührt Joel wieder. „Mensch, was soll das!?“ fährt der ihn an. Worauf Sven antwortet: „Du musst doch hier nicht gleich rumbrüllen!“ „Ja, aber du ärgerst mich doch ständig … Und dann spürt Joel wieder diesen abschätzigen Blick, der ihn zur Weissglut treibt. „Mensch, lass mich doch in Ruhe“, ruft er aus und unterstützt seinen Ausruf mit einem Schubser. „Sag mal, gehts noch? Dir werd ichs zeigen.“ Und schon stürzt er auf Joel zu.
Die Klassenlehrerin, die gerade das Zimmer betritt, schreitet schnell ein: „Hört auf!“ ruft sie laut und tritt dazwischen.
Sven und Joel werden beide behaupten, der jeweils andere habe angefangen und sie hätten sich nur verteidigt. Und man kann das Ganze auch als spielerischen Kampf werten, der dank des Einschreitens der Klassenlehrerin nicht eskaliert ist.
Aber ein Wort gibt ein Wort und auf die lauter werdende Antwort wird zurückgegeben und geschrien. Und dann wirds handgreiflich und es tut weh. Und auch darauf wird wieder mit Gewalt geantwortet. Und dann eskaliert es schnell.
Und immer hat der andere angefangen.
Und es ist schwer, dahinter zu kommen, wo es denn tatsächlich begonnen hat. Wo der Anfang ist. Ob er tatsächlich bei dem Rempler lag, für den Sven sich nicht entschuldigt hat. Oder ob es nicht mit dem Vordrängeln von Joel beim Sport in der Stunde vorher anfing. Oder vielleicht doch beim abschätzigen Blick, den Sven auf Joel abschoss, als der einen Zweier in Mathe bekam.
Es ist kompliziert, unser Zusammenleben. Und unser Alltag birgt so viele Erlebnisse und Erfahrungen, die uns schmerzen und uns verletzen, die uns demütigen und klein machen.
Manchmal wollen wir ja gar nicht verletzen und es kommt trotzdem so an. Und manchmal haben wir auch die Absicht zu verletzen, weh zu tun und es kommt auch so an.
Es ist kompliziert und es wird noch komplizierter, wenn wir bereit sind, unsere Verletzungen mit Attacken zu beantworten. Das ist das, was üblich ist, was wir lernen und gelernt haben. Ein Wort gibt das andere, es wird lauter, kommt zum Streit, …
Inne zu halten, zu sagen, was ein Wort bei einem auslöst, mit einem macht, das macht angreifbar und noch verletzlicher. Es ist nicht immer geraten, so zu reagieren. Aber es verändert die Dynamik.
Und vielleicht ist genau die Bereitschaft, eine Attacke mit einer Attacke zu beantworten, oder die Bereitschaft, eine vermeintliche Attacke mit einer Attacke zu beantworten oder eben die Bereitschaft, Böses mit Bösem zu vergelten, der Anfang einer Spirale, die sich immer schneller beginnt zu drehen. Und aus der es dann kein Aussteigen mehr gibt.
Ich bin sofort bereit, mich zu verteidigen, meine Stachel zu zeigen und zu stechen, wenn der andere nicht auf die Bremse tritt oder die Hand zu heben und auszuteilen, wenn die andere nicht still ist und sich zurückzieht.
Vergeltet niemandem Böses mit Bösem meint, glaube ich, genau dieses: Die Bereitschaft, stehen zu bleiben, inne zu halten, zu schauen, was eine Äusserung oder eine Handlung mit einem macht und das zu äussern.
Das schafft die Möglichkeit, dass der andere, dass die andere zur Besinnung kommt.
Aber was ist, wenn man das immer und immer wieder versucht und sich nichts ändert, wenn immer und immer wieder dasselbe passiert und man in Mitleidenschaft gezogen wird, man leidet?
Wieder und wieder haben es die Menschen, die zur Gemeinde in Rom gehörten, erlebt. Ein falsches Wort und man wurde verdächtigt, Aufrührer zu sein, Sympathisantin, Terrorist, Widerstandskämpferin. Ein Wort bei den Behörden, beim Arbeitgeber, beim Vorgesetzten, …
Und dann war man ganz schnell draussen – draussen vor der Tür. Und bekam kein Bein mehr auf den Boden. Man wurde geschnitten, ausgeschlossen, gedemütigt, angegriffen, herumgeschubst, bedroht, verhaftet, gefangen genommen. Manche mussten fliehen, andere wiederriefen und einige kamen um.
Was ist dann?
Muss ich das Unrecht still erleiden? Auch noch freundlich sein und dem, der mich verleumdet, der, die mich anschwärzt, nichts entgegensetzen? Muss ich wehrlos aushalten? Darf ich mich nicht zur Wehr setzen?
Auch das hat Paulus im Blick: Zuerst heisst es zwar: „Vergeltet niemandem Böses mit Bösem, seid allen Menschen gegenüber auf Gutes bedacht!“
Aber dann kommt schon die erste Einschränkung: „Wenn möglich, soweit es in eurer Macht steht: Haltet Frieden mit allen Menschen.“ Diese Einschränkung macht deutlich, dass die Annahme falsch wäre, der Friedenswille der Gemeindemitglieder in Rom könne auf jeden Fall Frieden schaffen.
Es kann also nicht darum gehen, um des lieben Friedens willen immer nur nachzugeben und dabei den bequemsten Weg zu gehen, der dann katastrophale Folgen haben kann.
Vielleicht denken jetzt einige an Schillers Wilhelm Tell und den eher resignativen Satz: „Es kann der Frömmste nicht in Frieden bleiben, Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt“. Der setzt dann meist schon die Bösartigkeit des Nachbarn oder der Nachbarin voraus, gegen die man nicht ankommt. Aber Paulus ist hier sehr differenziert: „Wenn möglich“ heisst: wenn der andere oder die andere auch Bereitschaft zum Frieden in sich trägt. Und „soviel an euch liegt“ macht dann aber auch deutlich, dass der Wille zum Frieden beim anderen nicht gleich gross sein muss.
Übt nicht selber Rache, meine Geliebten, sondern gebt dem Zorn Gottes Raum! Denn es steht geschrieben: Mein ist die Rache, ich werde Vergeltung üben, spricht der HERR. Getragen von dem Glauben, dass Gott – letztlich – Recht schafft, überlässt Paulus ihm die „Rache“. Rache erscheint mir hier recht verstanden als ins Recht setzen, das Recht zurückgeben denen, die es verloren haben, die unter die Räder kamen, die Unrecht erlitten haben, denen Gewalt angetan wurde.
Bis heute sind viele, unendlich viele Gewalttaten ungestraft verübt. Bis heute wird unendlich viel Leid über Menschen gebracht und zugelassen. Auch wir sind in diese Strukturen verwoben, können nicht aussteigen, können nicht unschuldig bleiben. Aber wir können sie uns vergegenwärtigen, ihnen ins Gesicht sehen und dagegen angehen.
Die Hoffnung, dass Gott hilft, dass Gott Unrecht beseitigen wird, dass die Gewalttäter zur Rechenschaft gezogen werden, dass die, die foltern und töten, die vergewaltigen und morden, die Profit um jeden Preis erzielen wollen, die ausbeuten ohne Ende, dass die nicht das letzte Wort haben, diese Hoffnung, bestärke Menschen, in ihrem Kampf um Recht und Gerechtigkeit. Diese Hoffnung halte Menschen am Leben, Menschen, die Unrecht erlitten haben, Gewalt ausgehalten haben.
Wehrlos sind wir nicht, wir warten auf Gerechtigkeit, darauf, dass das Recht sich durchsetzt, dass Gott seine Hand ins Spiel bringt.
Wehrlos sind wir nicht, aber wir setzen uns anders zur Wehr: Das bebildert der evangelische Theologe und Schriftsteller Johann Peter Hebel mit folgender Geschichte: Während der französischen Revolution führten die Preussen mit den Franzosen Krieg. Und niemand konnte ahnen, dass die Franzosen 18 Jahre später, 1806, nach Preussen kommen und den ungebetenen Besuch wettmachen.
Damals jedenfalls, als die Preussen in Frankreich wüteten, drang ein preussischer Husar, der ein böser Mensch war, in das Haus eines friedlichen Mannes ein, nahm ihm all sein bares Geld, so viel war, und zuletzt auch noch das schöne Bett mit nagelneuem Oberzug, und misshandelte Mann und Frau.
Ein Knabe von 8 Jahren bat ihn kniend, er möchte doch seinen Eltern nur das Bett wiedergeben. Der Husar jedoch stösst ihn weg. Die Tochter läuft ihm nach, hält ihn fest, und fleht um Barmherzigkeit. Er wirft sie in den Brunnen.
Nach dem Krieg lässt sich der Husar in Neisse nieder. Und natürlich denkt er nicht mehr dran, was er damals getan hat. Er meint, es sei schon lange Gras darüber gewachsen.
Doch dann kam das Jahr 1806. Und die Franzosen rückten in Neisse ein. Ein junger Sergeant wird abends bei einer braven Frau einquartiert, die ihn ordentlich behandelt.
Am Morgen jedoch kommt der Sergeant nicht zum Frühstück. Die Wirtin schaut nach ihm. Da sass der junge Mann wach und aufgerichtet im Bette, hatte die Hände ineinandergelegt, und seufzte, als wenn ihm ein gross Unglück begegnet wäre, oder als wenn er das Heimweh hätte. Und die Frau fragte nach. Nun, die Bezüge des Bettes, in dem er geschlafen habe, gehörten vor 18 Jahren seinen Eltern in der Champagne.
Und die haben bei der Plünderung alles verloren und wurden zu armen Leuten.
Der Sergeant war der damals achtjährige Sohn. Und er erkannte die Bettbezüge. Die roten Namensbuchstaben, womit sie die Mutter gezeichnet hatte, waren noch daran.
Dieses Bettzeug, sagte die Frau, habe sie von einem Husaren gekauft, der noch hier in Neisse lebe. Der Franzose besuchte den Husaren. Denkt Ihr noch daran, fragte er den Husaren, wie Ihr vor 18 Jahren einem unschuldigen Mann Hab und Gut, und zuletzt auch noch das Bett gestohlen habt? Und dass Ihr keine Barmherzigkeit walten liesset, als Euch ein achtjähriger Junge anflehte? Und an meine Schwester?
Der Husar fiel vor dem Franzosen auf die Knie und konnte nichts anderes herausbringen, als: Pardon!. Der geneigte Leser, erzählt Johann Peter Hebel, denkt vielleicht auch: Jetzt wird der Franzos den Husaren zusammenhauen, und freut sich schon darauf. Allein das könnte mit der Wahrheit nicht bestehen. Denn wenn das Herz bewegt ist, und vor Schmerz fast brechen will, mag der Mensch keine Rache nehmen. Da ist ihm die Rache zu klein und verächtlich, sondern er denkt: Wir sind in Gottes Hand, und will nicht Böses mit Bösem vergelten.
So dachte der Franzose auch, und sagte: Dass du mich misshandelt hast, das verzeihe ich dir. Dass du meine Eltern misshandelt und zu armen Leuten gemacht hast, das werden dir meine Eltern verzeihen. Dass du meine Schwester in den Brunnen geworfen hast, und ist nimmer davongekommen, das verzeihe dir Gott.
Mit diesen Worten ging er fort, ohne dem Husaren das Geringste zuleide zu tun, und es ward ihm in seinem Herzen wieder wohl.
Dem Husaren aber war es nachher zumut, als wenn er vor dem Jüngsten Gericht gestanden wäre. Denn er hatte von der Zeit an keine ruhige Stunde mehr, und soll nach einem Vierteljahr gestorben sein.
Als ich das Ende der Geschichte las, habe ich zum ersten Mal verstanden, was mit den feurigen Kohlen gemeint sein könnte. „Vielmehr: Wenn dein Feind Hunger hat, gib ihm zu essen; wenn er Durst hat, gib ihm zu trinken. Denn wenn du dies tust, wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln.“
Der Husar hatte nach dem Besuch des Franzosen keine ruhige Stunde mehr. Der Sergeant hatte an sein Gewissen appelliert, an seine Menschlichkeit, jetzt 18 Jahre später. Und mit seinem Verzicht auf Rache brannte es auf dem Kopf des Husaren.
Hätte der Franzose Gewalt angewendet, der Husar wäre zum Opfer geworden.
So aber blieb er, was er war: Täter.
Der Sergeant verzichtete auf den kurzen Moment der süssen Rache. Und „es ward ihm in seinem Herzen wieder wohl“.
Der Husar allerdings hatte so etwas wie Gewissen, es gab einen Rest an Menschlichkeit, an den der Franzose appellieren konnte. Diesen Rest an Menschlichkeit, an den ich appellieren kann, muss es geben.
Ist er nicht da, scheitert die Feindesliebe, scheitert der Versuch, Böses nicht mit Bösem zu vergelten. Paulus kannte diese Grenze. Deshalb sagt er einschränkend
„Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Ist es möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.“
Ob es möglich ist, weiss ich jedoch nicht im Voraus. Ich muss es versuchen. Soweit es an mir liegt, versuche ich, Böses nicht mit Bösem zu vergelten, auf dass es in meinem Herzen wieder wohl werde. „Lass dich vom Bösen nicht besiegen, sondern besiege das Böse durch das Gute.“
Amen.
Antonio Vivaldi: Adagio (Sonata op. 13 Nr. 2 in C-Dur)
Dank- und Fürbittengebet
Barmherziger Gott, Vater und Mutter für alle,
du bist der Gott des Friedens.
So beten wir heute für alle,
die Rache üben
und dabei Gewalt anwenden,
und für alle Opfer dieser Gewalt.
Und wir beten für alle,
die versuchen,
den Teufelskreis von Gewalt zu durchbrechen.
Gott, erbarme dich!
Jesus Christus, du lehrst uns, unsre Feinde zu lieben
und zu versuchen, sie zu verwandeln.
So beten wir heute für alle,
die polarisieren und Konflikte mit Gewalt lösen wollen,
und für alle, die sich um Ausgleich bemühen,
um Kompromisse, um ein Nebeneinander ohne Gewalt.
Gott, erbarme dich!
Heilige Geistkraft,
du flüsterst uns ein
und setzt dich in den Menschenohren fest
mit Jesu Geist und Sinn.
So beten wir heute für alle,
die gemieden werden oder gehasst oder gemobbt,
weil sie anders sind.
Gott, erbarme dich!
– S T I L L E –
Unser Vater im Himmel,
geheiligt werde dein Name,
dein Reich komme,
dein Wille geschehe,
wie im Himmel, so auf Erden.
Unser tägliches Brot gib uns heute,
und vergib uns unsere Schuld,
wie auch wir vergeben unsern Schuldigern.
Und führe uns nicht in Versuchung,
sondern erlöse uns von dem Bösen.
Denn dein ist das Reich und die Kraft
und die Herrlichkeit in Ewigkeit.
Amen.
Lied 76, 1-3 Wohl denen, die da wandeln
1. Wohl denen, die da wandeln
vor Gott in Heiligkeit,
nach seinem Worte handeln und leben allezeit.
Die recht von Herzen suchen
Gott und seiner Weisung folgen,
sind stets bei ihm in Gnad.
2. Von Herzensgrund ich spreche:
Dir sei Dank allezeit,
weil du mich lehrst die Rechte
deiner Gerechtigkeit.
Die Gnad auch ferner mir gewähr,
zu halten dein Gebote,
verlass mich nimmermehr.
3. Mein Herz hängt treu und feste
an dem, was dein Wort lehrt.
Herr, tu bei mir das Beste,
sonst ich zuschanden werd.
Wenn du mich leitest, treuer Gott,
so kann ich richtig gehen
den Weg deiner Gebot.
Segen
Gott segne dich und behüte dich.
Gott lasse ihr Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig
Gott hebe ihr Angesicht auf dich und gebe dir Frieden.
Amen
Antonio Vivaldi: Allegro assai (Sonata op. 13 Nr. 2 in C-Dur)