Dienstag, 7. April 2020
Zwei Frauen bringen Petrus in Bedrängnis
Matthäus 26, 69-75
Liebe Gemeinde,
Im Moment erleben wir es oft.
Menschen, die in der Regel nicht im Rampenlicht stehen und eher eine Nebenrolle zu spielen scheinen, erfahren grosse Wertschätzung.
Menschen ganzer Stadtteile von Italien bis Indien stehen abends auf den Balkonen und klatschen. Bilder davon gehen durchs Netz, werden weitergeschickt, gepostet, erscheinen in der Tagesschau.
Menschen klatschen, für einmal nicht, weil topbezahlte Fussballprofis einen Sieg erzielt oder eine Meisterschaft gewonnen hätten, sondern für alltägliche Arbeit, für die Pflegekräfte im Spital.
Ganz nach dem Motto: „D Helde vo dääne Dääg trage wiss statt rotblau“.
Und für einmal ist es auch egal, wer gewinnt, weil es nämlich nur noch ein Team gibt und uns bewusst wird, dass wir alle dasselbe Trikot tragen. Es trägt die Aufschrift Mensch, denn der Virus geht uns alle an. Wobei wir noch am Lernen sind, dass auch die ohne feste Wohnung, in den Lagern und unter den Brücken zum grossen Team Mensch dazugehören.
Ja, es wird geklatscht für alltägliche Arbeit, und das finde ich gut.
Denn es stellt die ins Zentrum, die unsere verletzliche Welt am Laufen halten, die unverzichtbar sind. Es sind die, die da sind und da bleiben, wenn es drauf ankommt, die aufmerksam, wach, achtsam sind. Die andere im Blick haben. Die sich in Schutzkleidung hüllen und dort hingehen, wo sie gebraucht werden. Die tun, was jetzt Not tut und dranbleiben. Eigentlich das, was sie immer schon getan haben, auch schon letztes Jahr, an Weihnachten, an Sonntagen und Werktagen. Das, wofür sonst nicht geklatscht wurde.
Aber es sind nicht nur die Pflegekräfte, für die ich klatschen möchte. Ich möchte für alle klatschen, die Carearbeit leisten. Die sich also darum kümmern und sorgen, dass unsere Grundbedürfnisse befriedigt werden: Ernährung, medizinische Versorgung, Pflege.
All das, was in den Spitälern, in den Pflegeheimen, daheim durch Spitex, Pflegekräfte aus dem Osten oder unentgeltlich durch Angehörige geschieht. Auch die Betreuung von Kindern in Kitas, Kindergärten, Schulen, zu Hause. Und vielen anderen Orten. Die Liste ist nicht vollständig.
Mit diesen Gedanken im Kopf lese ich nun den Text aus der Passionsgeschichte noch einmal neu und anders. Nicht auf die Hauptfiguren schaue ich, sondern suche gezielt nach denen, die eine Nebenrolle spielen und oft übersehene, aber wertvolle Aufgaben übernehmen.
69 Petrus aber sass draussen im Hof. Und eine Magd trat zu ihm und sagte: Auch du warst mit Jesus, dem Galiläer. 70 Er aber leugnete es vor allen und sagte: Ich weiss nicht, wovon du sprichst! 71 Als er aber in die Torhalle hinausging, sah ihn eine andere, und sagte zu denen, die dort waren: Dieser war mit Jesus, dem Nazarener! 72 Und wieder leugnete er es und schwor: Ich kenne den Menschen nicht. 73 Nach einer Weile traten die Umstehenden auf Petrus zu und sagten: Natürlich, auch du bist einer von ihnen, deine Sprache verrät dich ja. 74 Da begann er zu fluchen und zu schwören: Ich kenne den Menschen nicht. Und dann krähte der Hahn. 75 Da erinnerte sich Petrus an das Wort Jesu, der zu ihm gesagt hatte: Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen. Und er ging hinaus und weinte bitterlich.
Zwei Frauen, eine Magd und eine andere kommen hier vor, am Rande, Nebenrollen haben sie. Auch Namen haben sie nicht, wie so oft in der Bibel bleiben Frauen namenslos und damit gesichtslos. Aber dennoch sind sie handelnde Subjekte, zeigen sie Profil. Und wenn wir auf ihre Taten schauen, dann merke ich, dass ohne sie die Geschichte nicht ins Rollen gekommen wäre.
Obwohl sie nicht wirklich wahr- und ernstgenommen wurden, wagt die eine es, zu ihm hinzugehen.
Obwohl sie wissen, dass ihr Wort als Frau nicht zählt, nicht gehört wird, machen beide den Mund auf und trauen sich die Wahrheit über Petrus anzusprechen. Ihn, der zu diesem besonderen 12er Team gehörte, das Jesus nah war.
Beide Frauen schauen hin, machen den Mund auf. Sie bringen die Dinge ins Laufen, indem sie Petrus einen Spiegel vor Augen halten.
Ohne sie hätte Petrus vielleicht nicht gemerkt, wie es um ihn steht, wie brüchig sein Vertrauen ist, wie erschreckend wenig er sich selbst kennt.
Ja, immer braucht es Nebenfiguren. Niemand ist allein. Immer sind wir als Team unterwegs. Und wenn es drauf ankommt, ist es egal, welche Rolle und welchen Status wir haben. Dann sind wir alle einfach Menschen. Egal ob Magd oder Petrus, ob Fussballprofi oder Brückenschläferin, Pfleger oder Chefärztin.
Geklatscht hat damals draussen im Hof und in der Torhalle sicherlich niemand über die beiden Frauen. Von Petrus lesen wir, dass er zuerst fluchte und dann heulte. Kein danke für die Selbsterkenntnis, zu der er dank der beiden Frauen kommt. Und auch die anderen werden nicht geklatscht haben.
Ihnen geht es so wie den meisten in der Pflege heute. Sie machen, was nottut, werden dabei oft gar nicht richtig wahrgenommen, bekommen wenig Anerkennung, haben schlechte Arbeitsbedingungen und geringen Lohn.
Ich wünschte, wir würden auch sonst mehr klatschen für diese Menschen, die unsere Welt so unverzichtbar am Laufen halten, wach bleiben, dableiben. Für alle, die Menschen zur Selbsterkenntnis führen, begleiten, fördern, betreuen. Für jene, die diese ganze Carearbeit machen, nicht nur in dieser herausfordernden Zeit, sondern auch davor schon und danach noch, unermüdlich weiter.
Und ich wünschte, wir würden nicht nur klatschen, sondern sie endlich auch anständig bezahlen. Sie alle, die so unendlich wichtige, unverzichtbare und anspruchsvolle Arbeit leisten und nicht im Rampenlicht stehen und doch Helden sind.
Das wäre ein weiterer Grund zum Klatschen.
Amen
Verfasst von Pfarrerin Kerstin Bonk, Reigoldswil